Dienstag, 24. Mai 2022

Das zweite Geschlecht (The Second Sex)

Vor 70 Jahren veröffentlichte die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir ihre Schrift "Le Deuxième Sexe" (deutsche Übersetzung: "Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau", 1951). Obwohl das Buch seit seiner Veröffentlichung bereits als historisch bezeichnet wird, könnte es nicht mehr dem aktuellen Zeitgeist entsprechen. 

Hallo mal wieder. Zwei Jahre war Funkstille auf diesem Blog. Viel ist bei mir persönlich passiert, die Schule ist vorbei, und ich finde mich gerade in einem Marketing Kurs in Boston wieder. Was gleich geblieben ist, ist meine Freude am schreiben, am diskutieren und austauschen. Also beleben wir das ganze hier wieder, oder?

Von Frauen wird überall erwartet, dass sie sich wie Frauen benehmen. Ob sie diesem Standard genügen, darüber urteilt die ganze Gesellschaft. Doch was ist eine Frau? Was ist ihr Wesen? Seltsamerweise wird diese Frage nur in Bezug auf Frauen gestellt. Kein Mann muss sich rechtfertigen ein Mann zu sein. In vielen Sprachen ist sogar das Wort für „Mann“ mit dem für „Mensch“ identisch. Der Mann ist stets der Normalfall. An ihm wird die Frau gemessen. In Bezug auf ihn ist sie nur das Andere, meist das Mangelhafte und Unwesentliche.  Und obwohl die Trennlinie zwischen Mann und Frau so natürlich, so "angeboren" scheint, ist es nach Beauvoir, eine Frau (oder ein Mann) zu sein, eine soziale Tatsache, nicht etwa ein vorherbestimmtes Schicksal. Sie zeigt deutlich, wie sehr Frauen in ihren Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten durch ihre vom Mann abgeleitete Existenz eingeschränkt werden, doch entlässt sie Frauen nicht aus der eigenen Verantwortung für ihre Situation. Ich finde es durchaus mehr als Besorgnis erregend wie groß das Ausmaß der Propaganda, dem Mädchen und junge Frauen in sozialen Netzwerken heute in Bezug auf Körperpolitik ausgeliefert seien.  Aber nicht nur das Frauenbild, das mitunter in sozialen Netzwerken präsentiert wird, macht de Beauvoirs feministischen Klassiker auch 70 Jahre nach Veröffentlichung noch lesenswert.Es sind die zahlreichen Versuche, Frauen, die trotz aller Widrigkeiten hohe Ämter bekleiden, zu verunglimpfen und klein zu halten. Eine Dokumentation über Deutschlands ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Arte hat gezeigt, wie sich Angela Merkel im männerdominierten Politikbetrieb behauptet hat. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock wurden immer wieder Kompetenz und Erfahrung abgesprochen. Jetzt appellierte sie bei der UN-Vollversammlung in New York an die Weltgemeinschaft und warb für eine Resolution gegen Russland.

Mir persönlich beantwortet Beauvoir die Fragen warum es beispielsweise für ein Mädchen ein Kompliment sein soll, etwas so gut wie ein Junge zu können, und wieso andersherum etwa eine Beleidigung daraus wird. Und ich habe von Simone de Beauvoir gelernt, dass es sich lohnt, seinen eigenen Weg zu gehen – mit Überzeugung und Leidenschaft. Sie hat konsequent das gelebt, wofür sie theoretisch einstand und hat dafür in Kauf genommen, mit einem skandalösen Ruf zu leben. Die Veröffentlichung von „Das andere Geschlecht“ begleitete ein analoger Shitstorm mit persönlichen Beleidigungen auf der Straße und Vergewaltigungsfantasien in Leserbriefen. Aber ihr Weg war, immer weiter für die Selbstbestimmung der Frau zu kämpfen. Und das will ich auch, zum Beispiel durch meinen geplanten Berufseinstieg in die Männerdominierteste Branche schlechthin: das Bank- und Finanzwesen. Ganz gleich ob Mann oder Frau oder irgendwas dazwischen, Selbstbestimmung und das Recht auf Individualität ist essenziell in einer von Normativ und Standards geprägten Gesellschaft. Die Außnahme zur Regel zu sein, das schwarze Entlein zu verkörpern soll und darf die neue Regel sein. 



Sonntag, 25. Oktober 2020

Kann das Individuum die Nachhaltigkeitskrise stemmen?

Wieder das Thema Nachhaltigkeit. Wieder geht es darum, die bestmögliche, im Kollektiv realisierbare Balance im Leben zwischen unserem Planeten und dem Menschen selbst zu finden. Und wieder lautet die Antwort: Ernährung. 

Ich möchte im Folgenden insbesondere auf den Klimawandel und die Nutztierhaltung eingehen. Der Bericht ist sehr zahlenlastig, jedoch bin ich der Überzeugung, dass nur handfeste Fakten und Zahlen die Dimensionen und die Reitweiche der Viehzucht aufzeigen können. 

Zunächst einmal die Frage: Kann das Individuum die Welt retten? Sollte es überhaupt am Individuum festzumachen sein, eine so immense Verantwortung zu übernehmen? 

Das Individuum kann tatsächlich die Welt retten, ja es muss es sogar. Das erfordert kein Elektroauto, kaltes kurzes Duschen und den Umstieg auf Solarstrom (obwohl das natürlich auch hilfreich und erstrebenswert bleibt!!), sondern eine simple Ernährungsumstellung auf eine rein pflanzliche Ernährung. 

Wieso? Weil die Viehzucht, also die Aufzucht und der Verzehr von Vieh, der größte globale Klimaschädling ist. Die Treibhausgase, die von der Viehzucht erzeugt werden sind  größer als die des gesamten Transportsektors zusammengenommen. 

Die Tierlandwirtschaft insgesamt ist für 65% des weltweiten Stickoxidausstoßes verantwortlich. Stickoxid, oder umgangssprachlich auch Lachgas genannt, hat ein 296 größeres Erderwärmungspotential als Kohlenstoffdioxid. Auf diesem liegt gerade das Augenmerk der Nachhaltigkeitsdebatte beziehungsweise auf der globalen Verminderung der Kohlenstoffdioxidemissionen. Unverständlich wird das, wenn man den Methanausstoß betrachtet. Methan wird vor allem von Kühen ausgestoßen, wobei das Gas 86 mal zerstörender wirkt als das CO2, das zum Beispiel durch Fahrzeuge in die Atmosphäre gelangt. Ferner würde sich eine Methanreduzierung innerhalb von bereits zehn Jahren deutlich bemerkbar machen, eine CO2-Reduktion erst nach 100 Jahren. Die Reduzierung des Ersteren erfordert dabei keine milliardenschweren Projekte, sondern einen Verzicht auf die Kuh als Nutztier. Jene hat außerdem einen nennenswerten Wasserverbrauch. Der findet seinen Ursprung im unglaublich wasserintensiven Futteranbau. So ist der Verzehr eines einzigen Hamburgers so, als würde man zwei Monate durchgehend duschen. Tag und Nacht. 

So ist die Nutztierhaltung zu 51% verantwortlich für den anthropogenen Klimawandel und der Hauptgrund für das Artensterben. Das Artensterben ist zurückzuführen auf  die Überweidung und den daraus resultierenden Lebensraumverlust durch Überzucht. Auch durch die Überfischung entstehen immer mehr sogenannte Todeszonen. Das sind Gebiete, in denen das Wasser so wenig Sauerstoff enthält, dass Organismen, die auf Sauerstoff angewiesen sind, keine Überlebenschance haben. 

Der Lebensraumverlust und die Zerstörung von Ökosystemen wird besonders deutlich am Beispiel des Regenwaldes. Der Regenwald fungiert als natürlicher Ausgleich zum CO2-Gehalt innerhalb der Atmosphäre. Er ist der biologisch und kulturell vielfältigste Ort, jedoch sind bereits rund 91% des Amazonasregenwaldes zerstört für die Nutztierhaltung. 

Unglaublich ist es umso mehr, dass die renommiertesten Umweltschutzverbände, wie Greenpeace, zum Thema der Nutztierhaltung  schweigen und damit durch pure Ignoranz versagen. Es fehlen auf den Websiten der meisten dieser Verbände jegliche Verweise zu dem Problem geschweige denn Unterstützung für Projekte, die das vegane Leben, die Artenvielfalt der Wildtiere oder auch Säuberung der Weltmeere, verhindert durch die Viehzucht, unterstützen. Die Agrar- und Lebensmittellobby leistet dabei zudem enorme Arbeit, den Konsumenten im Unklaren über sein Verhalten zu lassen. Das wird durch diverse Werbekampagnen seit Jahrzehnten erreicht, wie das Werben für Kuhmilch als zentrale Kalziumquelle und daher Grundelement für unter anderem gesunde Knochen. Verschwiegen wird dabei, dass die Kuhmilch für das Kalb bestimmt ist, nicht für den Menschen. Jegliche Hormone, Mineralien und Nährwerte in der Kuhmilch sind daher- so banal das scheinen mag- eben nicht förderlich, sondern sogar kontraproduktiv für das gesunde Leben eines Menschen. Entfernt man sich vom rein gesundheitlichen Aspekt, kann auch der ethische Aspekt herangezogen werden. Eine Milchkuh befindet sich als Kalb nur zwei Tage bei seiner Mutter und wird dann zu einer Aufzuchtstation gebracht, in der ihm künstliche Kuhmilch gefüttert wird, da die ursprüngliche Milch für den Kommerz verwendet wird. Dazu kommt, dass die weltweite Nachfrage nach Milchprodukten steigt, wobei die Milchwirtschaft auf globalem Level unmöglich nachhaltig gestaltet werden kann. Die Nachfrage ist zu groß, wenn man betrachtet, dass man bereits für einen Liter Milch 1000 Liter Wasser braucht. 

Rund 7.8 Milliarden Menschen leben auf der Erde. Es wird von einer Überbevölkerung gesprochen. Neben den Menschen gibt es allerdings auch 70 Milliarden  Nutztiere, die alle enorme Massen an Futter und Wasser benötigen. Dabei werden die Kosten der Tierfutterproduktion nicht komplett von den Herstellern selbst getragen. Diese "versteckten" Kosten werden daher auf die Gesellschaft abgewälzt. Das spiegelt sich dann zum Beispiel in Gesundheitskosten, Umweltschäden oder Subventionen wider. In den USA allein werden jährlich 414 Milliarden Dollar von Steuerträger*innen für diese Kosten verwendet. Im Anbetracht dessen wird klar, dass wenn die Hersteller selbst alles bezahlen müssten, würden die Preise für tierische Produkte gleichsam merkbar steigen- und das will der Staat verhindern. Bedenkt man nun jedoch, dass 82% der weltweit hungernden Kinder in Ländern leben, in denen Nahrungsmittel in Viehzucht verfüttert werden, welche dann in wohlhabenderen Ländern zum Endkonsumenten gelangt (USA, Großbritannien, EU), muss überdacht werden, ob der Konsum von tierischen Produkten weltweiten Hunger neben den immensen Klimaschäden rechtfertigen kann.  Es könnte nämlich eine angemessene Ernährung für alle Menschen gewährleistet werden, wenn die Nahrung, die primär für Nutztiere bestimmt war, in menschliche Nahrung umgewandelt werden würde. Wenn weniger tierische Produkte konsumiert werden, können alle Felder mit gentechnologisch angebautem Mais oder Sojabohnen in Wälder und damit wiederauflebende Ökosysteme umgewandelt werden. 

Wenn jeder vegan wäre, gäbe es wieder mehr Wälder anstatt von Nutzflächen, eine Rückkehr der Wildtiere in ihre natürlichen Habitate, saubere Flüsse und Weltmeere, sowie eine bessere Gesundheit der Menschen. Vielleicht würden sogar Werte wie Güte und Rechtschaffenheit zurückkehren. Dabei kostet diese Umstellung nichts, wie im Vergleich zum kompletten Umstieg auf nachhaltige Energien. Diese Umstellung geschieht zudem sofort und benötigt keine Zeit, die in dem Maße schlichtweg nicht zur Verfügung steht. 

Das Individuum hat also die Nachhaltigkeitskrise zu einem großen Teil selbst in der Hand. Außer Frage bleibt, dass zusätzlich Unterstützung und vor allem Aufklärung von Seiten der Regierung gewährleistet sein müssen. Unser Ziel sollte es doch nämlich sein, die Erde nicht künstlich überleben zu lassen, sondern ihr etwas zurückzugeben, sodass sie lebt. 

  


Mittwoch, 2. September 2020

Wenn wegschauen rechts macht

Am Wochenende demonstrieren ungefähr 38.000 Personen in Berlin gegen die Corona Regelungen, für "Freiheit und Liebe". Die Duldung von Rechtsextremen in den Demonstrantenreihen hat bei mir Fragen aufgeworfen, vor allem in Kombination mit dem "Sturm" auf den Reichstag. Neben unzähligen Reichsflaggen findet man auf Plakaten Sprüche, wie  »Maulkorb-Demokratie - ohne uns«, »Stoppt den Corona-Wahnsinn« und »Corona-Diktatur beenden«. Immer wieder skandiert die Menge »Widerstand« und »Wir sind das Volk«. Auf Plakaten sind demokratisch gewählte Politiker*innen in Sträflingskleidung zu sehen, Menschen meditieren, andere schreien "Putin-Putin". Festgenommen wurde vor der russischen Botschaft, neben ca 300 weiteren Personen, auch der Vegan -Koch Attila Hildmann, der sich selbst »ultrarechts« und einen Verschwörungsprediger nennt. 

Die Demonstration in Berlin am Samstag war somit eine der größten rechtsextremen Demonstrationen der jüngsten Zeitgeschichte. Offen wurde verkündet, dass Andersdenkende verhaftet und teilweise hingerichtet werden sollten, dass  die Verfassung abgeschafft werden solle und die demokratisch gewählte Regierung zu stürzen versucht werde.  Die Akzeptanz von rechtsradikalen Symbolen und Äußerungen lassen sich als stille Zustimmung werten. Wenn die Bewegung so etwas akzeptiert, dann hat sie auch kein Problem mit dem Nationalsozialismus. Wer mit Reichsbürger*innen oder Mitgliedern der Identitären Bewegung mitmarschiert und sich nicht klar distanziert, macht sich zum Mittäter und Steigbügelhalter. Sich kritisch gegen Auflagen äußern und über Geschehens zu reflektieren, soll weiter möglich sein, jedoch nur, wenn dem Raum nach rechts kein Platz gegeben wird. So muss abgewogen werden, ob mit Leuten, die eine Monarchie oder "Führerstaat" errichtet wollen, für die Demokratie und Meinungsfreiheit demonstriert werden kann. Ich glaube nein. Und das bestätigen auch die Statistiken: 


60 Prozent der Deutschen finden, laut Politbarometer der Süddeutschen Zeitung, die Corona-Politik von Bund und Ländern richtig. 28 Prozent ist sie zu lasch, und nur zehn Prozent zu hart. Diese letzte Gruppe umfasst viele Zehntausend Menschen, für die schon Abstandsgebot und Mund-Nasen-Bedeckung ausreichen, um jedes Maß zu verlieren und von "Totalitarismus" zu faseln. Deutschland ist ein Staat, in dem man sich gegen von der Regierung aufgelegte Regelungen mittels Verwaltungsgerichten stellen kann. 

Als letzte Frage nun an die Demonstrant*innen, die für Freiheit "kämpfen" und das "Regime abschaffen" wollen: schon einmal in Belarus gewesen? Über die Putin-Rufer bedarf es an dieser Stelle gar nicht mehr einzugehen. 




Dienstag, 16. Juni 2020

Was ist los mit der Demokratie?

“Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.” (Winston Churchill)
Stimmt das?

Philipp Amthor sorgt für heftige Diskussionen. Amthor engagiert sich in einem New Yorker Unternehmen und schlägt selbst Profite daraus. Ein Vorfall, der die Parteiverdrossenheit innerhalb Deutschlands unterstützt. Fälle von Ämterpatronage, Finanzskandalen und Oligarchie in der innerparteilichen Demokratie sorgen für die Annahme der Bürger, dass Parteien und ihre Führungseliten ohne Skrupel zur persönlichen Vorteilnahme und zugunsten der eigenen Klientel handelten. Intransparente Absprachen über zu besetzende Ämter in Politik, Wirtschaft und den öffentlichen Dienst und selbst beschlossene Steigerungen der finanziellen und materiellen Zuwendungen an Politiker lassen den Staat für die Bürger wie eine unerschöpfliche Einnahmequelle für Parteien und Politiker erscheinen und nicht etwa als Bindeglied zwischen Staat und Volk.
Der Verdruss auf einzelne Politiker (z.B. Amthor) leitet sich dann auf die gesamte Partei ab.
Die Parteiensysteme wirken wie eingefroren, inzwischen haben autoritäre Populisten überall auf der Welt Zulauf. Die AfD ist in allen 16 Landtagen und mittlerweile sogar im Bundestag vertreten. Wie geht man mit der Herausforderung des Populismus um? Die öffentliche Meinung wird zunehmend polarisiert, wodurch der Graubereich eines politischen Kompromiss weiter schwindet. Dadurch entstehen immer gefestigtere, unflexible Positionen, welche sich gegenseitig ausschließen und einen Dialog weitesgehend verhindern.
Das populistische Versprechen, es könne einen Ausweg geben aus der Komplexität und Diversität der Gegenwart, findet gleichwohl zunehmend Anhänger. Diese Anhänger lassen sich nicht wie zu vermuten nahe liegt angehäuft im rechten politischen Spektrum finden, sondern besonders innerhalb der bürgerlichen Mitte. Es entwickeln sich also zunehmend Spaltungstendenzen in der Gesellschaft, die zeitgleich den Erhalt der Demokratie gefährden.
Woher kommt diese Spaltung? Deutschland erlebt innerhalb der letzten Jahre einen Wohlstandsgewinn, sinkende Arbeitslosenquoten sowie ein starkes Wirtschaftswachstum. Das hört sich doch gut an, oder nicht? Was diese Beobachten nicht zeigen ist, dass ein Teil der Bevölkerung davon ausgeschlossen bleibt. Die unteren Einkommen sind kaum gestiegen, der Niedriglohnsektor ist weiter expandiert und in den wirtschaftlich wachsenden Metropolen wird der Wohnraum knapp. Dadurch ist für einkommensschwächere Bevölkerungsteile der freie Wohnungsmarkt weitgehend unbezahlbar geworden. Zu den Schattenseiten zählt auch die regionale Disparität im Land: Während einige Regionen boomen, fallen andere weiter zurück.
Durch den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik und die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wird das Nachvollziehen politischer Entscheidungen und der jeweiligen Handlungsebene erschwert. Die Reaktion der gänzlichen Abweisung und des Vertrauensverlusts wirkt dadurch verständlicher.
Zudem erschwert die zunehmende Individualisierung die dauerhafte Bindung zwischen Wähler und Partei. Damit verbunden ist auch ein häufigerer Wechsel der Beweggründe, die eine oder andere Partei zu wählen. Die Hinwendung der Parteien zu neu entstandenen Wählergruppen führt zu einer Verdrossenheit der traditionellen Wählerschaft aufgrund von angepassten oder sich verändernden parteilichen Zielen und Werten, während sich die neuen postmaterialistischen Wählerschichten (meist Jugendliche) nicht genug von den Parteien beachtet fühlen. So versuchen die Parteien eine Mittelposition zwischen den beiden Gruppen einzunehmen, die allerdings Verdrossenheit bei Teilen der Stammwähler hervorbringt und die Unzufriedenheit auf Seiten neuer Wählergruppen nicht vollständig auflösen kann. Die Parteien werden für Außenstehende austauschbar: Klar zuordbare Positionierungen werden seltener. Eine klare Position auf dem rechts-links Spektrum vieler Parteien wird schwieriger, welches die innerparteiliche Aufspaltung in Flügel bzw. Zersplitterung zusätzlich unterstützt. Eine Alternative bilden NGO´s und Verbände, die vermehrt Zuspruch gewinnen. So engagieren sich vor allem Heranwachsende in eben diesen, da sie hier ihrem spezifischen Interesse bezüglich eines Themas eher und gezielter nachgehen können (vgl. Fridays For Future).

Es gilt also Sachfragen zu lösen beziehungsweise in Angriff zu nehmen, die populistische und nicht populistische Positionen vertreten. Das sind laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung meist sozialpolitische und überraschenderweise pro-europäische Themen. Die Politik muss sich mit Konfliktbereichen intensiv beschäftigen, die die Gesellschaft spaltet: die Klimakrise, Integration, Flüchtlingspolitik und der Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt. Eine öffentliche Debatte sollte dabei gefördert werden, bürgerliche Teilhabe gefordert sein, um das Vertrauen und Interesse in die Politik zurück zu gewinnen. Die Politik muss eine klare Sprache sprechen, die soziale Gerechtigkeit fördern und die kommunale Ebene muss mit mehr Ressourcen und Regelungsfreiheit ausgestattet werden. Letzteres lässt sich dadurch begründen, dass die Kommunen die Orte der Selbstwirksamkeit definieren, in denen das Vertrauen in lokale politische Institutionen grundsätzlich höher ist. Die Demokratie ist ein Staatssystem, welches auf dem Vertrauen und der aktiven Mitgestaltung der Bürger*innen basiert und lebt. Skandale von einzelnen Personen dürfen keine Grundlage für Pauschalurteile bilden und populistische Positionen mit "einfachen" Erklärungen nicht ohne Reflexion und Hinterfragung angenommen werden.
Ich, als eine Bürgerin die mit der Demokratie großgeworden ist, appelliere an politisches Engagement, Diskussion und Reflexion. Nur durch den allgemeinen Austausch und Flexibilität erreichen wir eine grundlegende Zufriedenheit und einen gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Danke fürs Lesen  :)

Dienstag, 9. Juni 2020

Weiß sein

Ich bin weiß. Jenes Merkmal verschafft mir eine Sonderrolle in dieser von ethnischen Merkmalen dominierten Gesellschaft. White supremacy. Woher kommt dieses Denken?
Ein kurzes Szenario aus dem Alltag: an einer Werbetafel ein Bild eines farbigen kleinen Mädchens und der Aufforderung Pate zu werden. Eine Meldung auf „Spiegel Online“ über den Potsdamer Ermyas Mulugeta, der von zwei Unbekannten lebensgefährlich verprügelt wurde, heißt es, das „äthiopischstämmige“ Opfer sei „mit zwei Deutschen in Händel geraten“. Diese Situationen verbindet die gleiche, abstrakt scheinende Denkfigur: Die Figur des Weißen. Weißsein als unsichtbarer Maßstab stellt das Nicht-Weiße als Abweichung und minderwertige Abstufung dar. Dies passiert oft unbewusst, ja sogar in einem antirassistischen Kontext. Pate werden, helfen, die Welt verbessern, teilen, Nächstenliebe. Das ist lobenswert und auch wünschenswert aber davon losgelöst ist nicht das Handeln des Weißen als der Protagonist der "rettet", "verbessert" und "schützt". Er tut dies fast mit Leichtigkeit, da ihm die nötigen Mittel im Überfluss zur Verfügung zu stehen scheinen.  Denn es scheint, als genüge das existenzielle Minimum, eine Grundbildung bereits um massiv zu helfen und zu verändern, da die Zustände in der Umgebung des Patenkinds so miserabel sind. Dieses Handeln bezeichnet man als "White Saviorism".
 Dass gut gemeintes Handeln nicht immer gut ist, zeigt der Fall der im Januar 2020 in Uganda vor Gericht geht.  Die Amerikanerin Renee Bach reiste erstmals 2007 im Alter von 18 Jahren nach Uganda.  Sie beschloss in der Stadt Jinja die religiöse NGO „Serving His Children“ zu gründen. Die Organisation hat sich unter anderem die Bekämpfung von Mangelernährung zum Ziel gesetzt. Zwei Mütter klagten gegen Bach, da sie ohne Ausbildung als Ärztin praktiziert habe und verantwortlich für den Tod der beiden Kinder der Mütter gemacht wird.  In „armen Schwarzen Gemeinden“ ein gutes Werk zu vollbringen und dabei keine wirklich hilfreichen Qualifikationen zu besitzen, wie beispielsweise eine medizinische Ausbildung oder sich  mit der Kultur des Landes auszukennen definiert das typische Handeln eines "Weißen Retters". Außerdem präsentiert sich jener oftmals in den sozialen Netzwerken auf Fotos mit „armen Schwarzen Kindern“ als Held. Tatsächlich bewegen tut das nichts. Die Wurzeln von der Ungleichheit wie zum Beispiel Korrupte Staatssysteme, Lobbyeinfluss anderer Länder, fehlende Industrialisierung und auch das rassistische Klassendenken werden nicht berührt, ja sogar weiter etabliert.

Durch die brutale Ermordung George Floyds erlangen Bewegungen wie BLM (Black Lives Matter) große Aufmerksamkeit und Zuspruch. Dieses Momentum jetzt zu nutzen ist wichtig um grundlegende internationale Veränderungen gen der Gleichberechtigung aller zu schaffen. Diese darf nicht nur vom  Gesetz bestimmt sein sondern muss vor allem durch eine Veränderung sozialer Strukturen herbeigeführt werden. Ich persönlich finde mich in dieser Situation in einem Dilemma wieder. Wie kann ich solidarisch sein, Empathie zeigen und etwas mitbewirken, wobei ich ja weiß bin? Ein einzelnes schwarzes Bild mit dem Hashtag #blackouttuesday bringt demnach meiner Meinung nach nichts, hat sogar einen Hype ähnlichen Charakter an sich. Damit ist noch lange nichts verändert und es scheint, als würde dadurch ein Häkchen an die To Do Liste gesetzt werden sich "beteiligt" zu haben. Können die Sozialen Netzwerke in solchen Zeiten überhaupt helfen?
Ich persönlich habe eine sehr ambivalente Meinung darüber. Das Video von George Floyd verbildlicht Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern auf einer brutalen, direkten Art. Gleichzeitig können Betroffene durch das ständige Wiederansehen des Videos getriggert werden und der Afroamerikaner an sich steht wieder nur als ein "Objekt" weißer Gewalt und nicht als vollwertiges, wertvolles Menschenleben dar. Das Verwenden von Hashtags ist nur dann hilfreich, wenn es gut organisiert und geplant ist. So führten Misskommunikationen am "Blackouttuesday" dazu, dass unter dem Hashtag "Blacklivesmatter" gepostet wurde, welches lediglich zum Verbreiten von Nachrichten bezüglich der Polizeigewalt oder Protesten genutzt werden sollte. Der Nachrichtenfluss wurde daher erheblich behindert. Effektiver wäre es, unter Hashtags zu posten, welche die Gegenseite verwendet, um beispielsweise deren Nachrichtenfluss stillzulegen.
Abgesehen von den Sozialen Netzwerken ist es natürlich auch viel wichtiger tatsächlich antirassistisch zu leben. Das bedeutet also, nicht einfach nur gegen Rassismus zu sein, sondern aktiv dagegen zu Handeln. Die große Aufmerksamkeit ist gut, darf aber kein Trend sein, denn Trends sind temporär und Rassistische Problematik kann nicht temporär sondern muss längerfristig gelöst werden. Die Wurzeln von Rassismus liegen tief verankert in unseren Systemen und erfordern daher grundlegende Änderungen. In Amerika spielt dabei z.B. eine tragende Rolle das Gefängnissystem.Ein disproportionaler Anteil der Gefangenen besteht aus Afro-Amerikanern, vor allem wenn es um kleine Delikte und Wiederholungstäter geht. (Filmempfehlung: The 13th). 
Abschließen möchte ich diesen Eintrag mit einem Zitat von Martin Luther King Jr.:
“The time is always right to do what is right.”















Mittwoch, 13. Mai 2020

Corona- ein globaler IQ Test?

Momentan gehen tausende Menschen weltweit auf die Straße, um gegen die Corona- Maßnahmen zu protestieren. Sie kommen aus den unterschiedlichsten Milieus, doch es scheint Charakteristika zu geben, die sie alle verbinden: einfache Erklärungen und klare Feindbilder. In Stuttgart sowie zahlreichen anderen Städten deutschlandweit haben vergangenes Wochenende  große Demonstrationen stattgefunden, bei denen besonders Verschwörungstheorien von Rednern vorgetragen wurden. Obwohl die Politik viele Maßnahmen gegen die Pandemie wieder aufhebt, war auf Plakaten von einer "Corona-Diktatur" zu lesen, ein Redner in Stuttgart brachte die derzeitigen Einschränkungen mit der Machtergreifung Adolf Hitlers in Verbindung. Auch Begriffe, wie ein "Merkel-Regime" sind wiederholt gefallen, so ein Bericht der ARD.

Die Komplexität der Pandemie wird größtenteils ignoriert, Sündenböcke sollen für die derzeitige weltweite Krise verantwortlich sein. Allerdings sind die Behauptungen zu Corona sehr widersprüchlich: So heißt es einerseits oft, das Virus sei in Laboren als biologische Waffe gezüchtet worden, um die Menschheit zu knechten; andererseits ist von einem Corona-Schwindel die Rede, demzufolge Covid-19 nicht gefährlicher sei als die Grippe. Diese irrationalen Erklärungsmuster spinnen sich zu Verschwörungstheorien, die dann durch die Medien enorm polarisiert und verbreitet werden. Die sozialen Medien sind hier keinsten falls zu unterschätzen, da mithilfe von Bots Posts tausendfach wieder gepostet werden und in den Filterblasen anderer verhäuft Aufmerksamkeit finden.

Daraus ergibt sich auch ein Erklärungsansatz dazu, wieso zunehmend die rechte Szene Anlauf in den Corona-Protesten sucht und die Bühne für sich nutzt. Verschwörungstheorien, nach denen Migranten den Virus übertragen, finden in Zeiten von globaler Ungewissheit und Unsicherheit größeren Anklang in breiterer Masse, nicht nur rechts.  Experten meinen, die massiven psychischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie führten zu Frustrationen, Verunsicherungen und Protesten. Menschen suchen demnach nach Antworten, die die Politik offenbar nicht für alle befriedigend und verständlich liefert. Gerade daher schlagen einfache Verschwörungstheorien, egal wie unlogisch sie auch sein mögen, an. Besonders dann, wenn es Sündenböcke gibt: die Regierung, Ausländer, Bill Gates, politisch anders gesinnte. Begriffe wie Demokratie, Liberalismus und Rechte werden außerhalb ihres Kontextes missbraucht. Es wird im Namen der Grundsätze unserer heutigen Demokratie demonstriert, wenngleich Risikogruppen gefährdet werden und Lügen verbreitet werden. Das destabilisiert die Demokratie enorm. Der pandemische Populismus betreibt reißerische Propaganda und mobilisieren vor allem rechte Gruppierungen. Dabei wird nach Emotion und nicht Logik argumentiert; das was sich richtig "anfühlt", wird geglaubt. Der Begriff der "Freiheit" wird hier auch missverstanden. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Nicht nur meine, sondern auch deine. Mein Handeln darf dich nicht negativ beeinflussen und anders herum. Gehe ich ohne Berücksichtigung jeglicher Schutzmaßnahmen auf die Straße und lebe meine "Freiheit" aus, so gefährdest du damit das Umfeld, deren Menschenwürde.

Lasst uns in Zeiten wie diesen also besonders darüber nachdenken, was wir tun. Lasst uns besonders an unsere Mitmenschen denken. Lasst uns die Zeit zwar gemeinsam, aber in Achtsamkeit durchstehen.

Bleibt gesund, behalten Abstand und euren Verstand.




Samstag, 18. April 2020

Kapitalismus und das heteronormative Geschlechterverhältnis

Seit Beginn des Kapitalismus haben sich die Geschlechterverhältnisse weiter manifestiert. Das findet seine Begründung unter anderem darin, dass das Geschlecht als heteronormativ gefasst wird, also einer selbstverständlichen, dualen Einteilung von Frau und Mann. Diese grundlegende Einteilung von Menschen bildet die Grundlage für Ungleichbehandlungen, da die Unterteilung in Lebens- und Arbeitsverhältnisse durch ihre Natürlichkeit begründet wird, welche konstruierter nicht sein könnte. So werden von Anfang an Frauen und Männern kategorisch gegensätzliche Attribute zugeschrieben,  beginnend bei Leistungsschwäche bzw. -stärke, Empathie bis hin zu Teamfähigkeit.
Weibliche Arbeitsbereiche, die den Mehrwert für die Gesellschaft produzieren,  stehen hier männlichen Arbeitsbereichen gegenüber, welche den männlichen "Wert" prägen. Diese Verhältnisse hat der Kapitalismus nicht geschaffen, jedoch durch seine Verschränkung der wechselseitige (Re-) Produktion von Geschlechterverhältnissen verändert und geprägt. 

Die neoliberale Ausprägung des Kapitalismus führt dazu, dass Frauen aufgrund der ihnen zugeschriebenen Eigenschaften eher eingestellt werden können. Ein Beispiel dafür wäre der Bereich der Pflege und Erziehung. In diesem Bereich arbeiten mehrheitlich Frauen, jedoch unter der Führungsposition eines Mannes. Die Bezahlung ist in diesem Sektor geringer, als in den meisten anderen, vor allem männlich geprägten, Sektoren wie Industrie. Die Bezahlung von Frauen ist selbst bei mehrheitlich von Frauen ausgeübten Tätigkeiten also geringer als die von Männern. Dies verdeutlicht ganz offensichtlich die patriarchal- bzw. asymetrisch- vergeschlechtlichte Gesellschaft. 
https://de.statista.com/infografik/21138/entwicklung-des-gender-pay-gap-in-deutschland/ 
In Zahlen spiegelt sich dies in der sogenannten Gender Pay Gap wider. Diese beschreibt das geschlechterspeziefische Lohngefälle des Bruttolohns zwischen Männern und Frauen. Hierbei muss zwischen der bereinigten und unbereinigten Pay Gap unterschieden werden. Beim  unbereinigten GPG wird die Differenz zwischen den durchschnittlichen Bruttoverdiensten von Frauen und Männern gebildet. Dabei fließen in die Berechnung auch Faktoren ein, die auch die Verdienste von Arbeitnehmern in (Alters-)Teilzeit, von geringfügig Beschäftigten sowie Auszubildenden und Praktikanten mit ein. Auf lohndeterminierende Faktoren wird also keine Rücksicht genommen. Dieser GPG liegt in Deutschland bei rund 21%. Der bereinigte GPG stellt das Bruttoeinkommen von  Frauen und Männer in ein Verhältnis, welche vergleichbare Berufe ausüben bzw. vergleichbare Eigenschaften teilen. Der bereinigte GPG beträgt ca. 2–7 %. Dies bedeutet, dass im Durchschnitt Frauen unter der Voraussetzung vergleichbarer Tätigkeit und gleicher Qualifikation pro Stunde 2–7 % weniger als Männer verdienten. 
Woher kommt dieser unbegründete Unterschied, der von uns als so selbstverständlich angenommen wird?
https://www.slideserve.com/arnaud/dr-jana-r-ckert-john  
Ein Teil rührt von der Sozialisierung her. Im Prozess der Sozialisation lernen  wir die Codes, mit denen wir unser Geschlecht richtig darstellen und das Geschlecht anderer erkennen können – hier sprechen wir von doing gender. Für diese interaktive Hervorbringung von Geschlecht steht eine breite Palette kulturell bedeutsamer Hinweise zur Verfügung: Namen, Kleidung, Stimmlage, Gestik, Mimik, Körperhaltung und Verhaltensweise, deren Bedeutung und Anwendung wir in Prozessen der Sozialisation einüben. Der Code, der diesen Bedeutungen zugrunde liegt, lässt sich als zumeist unhinterfragbare kulturelle Grundgewissheit verstehen, dass es zwei und nur zwei Geschlechter gibt und dass jeder Mensch einer dieser beiden Kategorien sein Leben lang angehört.
 Dabei finden auch Klischees zu ihrer vollen Blüte: "Frauen und Technik", "Jungen können Mathe besser", "Jungen weinen nicht" und und und. Auf die Arbeitswelt übertragen implementiert sich daraus auch ganz banal folgende Verteilung: der Mann arbeitet, die Frau bleibt zuhause für den Haushalt und die Erziehung. Selbst im 21. Jahrhundert, in dem dieses Rollenbild als veraltet gilt, zeigen Mängel im System, wie schwierig bis unmöglich es einer Frau ist, losgelöst von dem manifestierten Bild in der Arbeitswelt gleichwertig behandelt zu werden. Entschließt sich eine Frau dazu eine Familie zu gründen, so ist das einer Sisyphusarbeit gleichzusetzen: Wie lange gehe ich in Elternzeit? Gehe ich nur kurz, bin ich eine Rabenmutter und bleibe ich lange, habe ich den Karriereaufstieg verpasst. Und was passiert mit dem anderen Elternteil? Wird dieses nun völlig aus dem Familienleben ausgeschlossen, weil es auf die Arbeit angewiesen ist? Ist das ein gerechtes System? Und wieso ist es immer noch ein solches Tabu über Geld und Einkommen zu sprechen? Dieses Verschweigen kommt letztlich nur dem Arbeitgeber zugute und löst Ungleichheiten nicht, sondern untermauert sie sogar. Es ist daher essenziell als Arbeitnehmer über seinen eigenen Wert zu wissen und sich auszutauschen mit Kolleg*innen. Nur dadurch kann auf Fehler aufmerksam gemacht werden und ein Umbruch stattfinden. 

 Die Jagd nach Mehrwert ist der zentrale Antrieb einer privatkapitalistischen Wirtschaft. Erlahmt sie, aus welchen Gründen auch immer, verliert das System an Stabilität. Der Kapitalismus wächst oder er ist in der Krise. Dazwischen gibt es nichts. Wachstum im neoliberalen Kapitalismus wird repulsiv und bedeutet keineswegs mehr Wohlstand für alle. Es befördert gesellschaftliche Spaltung, indem es die Vermögen der Reichen mehrt und zugleich immer mehr Menschen in prekäre Lebenslagen abdrängt. Und es nimmt die Natur in einem Maße in Anspruch, das ihre Regenerationsfähigkeit überfordert. Man bedenke die Klimakrise. 

Letztlich möchte ich noch auf unsere aktuelle Lage eingehen, da die Corona Krise ein Bilderbuchbeispiel für dieses ungleiche System ist. Die aktuelle Corona Krise, die ja alle treffe, trifft manche eben doch härter als andere. Was passiert mit alleinerziehenden Elternteilen, die alleine zuständig für die finanzielle Absicherung sind? Und wieso wird erst jetzt den systemrelevanten Berufen Aufmerksamkeit und Solidarität gezollt, da ihre Dringlichkeit in einem heruntergefahrenen Staat so unübersehbar ist? Jene Berufe die hauptsächlich von Frauen getragen werden; jene Berufe, die unverhältnismäßig weniger bezahlt bekommen. Diese Personen arbeiten jetzt über jegliche Maßen hinaus unter unglaublichen Bedingungen. Vielleicht rüttelt die Krise uns auch diesbezüglich auf. Geschlechter haben keine Wichtigkeit während der Ausübung einer Arbeit. Wichtigkeit hat die Qualifikation und Qualität der Arbeit. Der profitorientierte Kapitalismus zeigt Lücken im Sozialstaat auf, die gerade jetzt nicht mehr zu übersehen sind. Wichtig sind daher Reformen und Veränderungen hingegen eines Infrastruktursozialismus. Es müssen Maßnahmen in Kraft treten, die das Gesundheitswesen aus dem Markt zieht und Großunternehmen dazu verpflichtet, ihre wirtschaftliche Tätigkeit stärker auf das Allgemeinwohl anzupassen. 

Ich bedanke mich für die Zeit, die Du dir zum Lesen genommen hast. 



Erster Post

Das zweite Geschlecht (The Second Sex)

Vor 70 Jahren veröffentlichte die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir ihre Schrift "Le Deuxième Sexe"...