Samstag, 18. April 2020

Kapitalismus und das heteronormative Geschlechterverhältnis

Seit Beginn des Kapitalismus haben sich die Geschlechterverhältnisse weiter manifestiert. Das findet seine Begründung unter anderem darin, dass das Geschlecht als heteronormativ gefasst wird, also einer selbstverständlichen, dualen Einteilung von Frau und Mann. Diese grundlegende Einteilung von Menschen bildet die Grundlage für Ungleichbehandlungen, da die Unterteilung in Lebens- und Arbeitsverhältnisse durch ihre Natürlichkeit begründet wird, welche konstruierter nicht sein könnte. So werden von Anfang an Frauen und Männern kategorisch gegensätzliche Attribute zugeschrieben,  beginnend bei Leistungsschwäche bzw. -stärke, Empathie bis hin zu Teamfähigkeit.
Weibliche Arbeitsbereiche, die den Mehrwert für die Gesellschaft produzieren,  stehen hier männlichen Arbeitsbereichen gegenüber, welche den männlichen "Wert" prägen. Diese Verhältnisse hat der Kapitalismus nicht geschaffen, jedoch durch seine Verschränkung der wechselseitige (Re-) Produktion von Geschlechterverhältnissen verändert und geprägt. 

Die neoliberale Ausprägung des Kapitalismus führt dazu, dass Frauen aufgrund der ihnen zugeschriebenen Eigenschaften eher eingestellt werden können. Ein Beispiel dafür wäre der Bereich der Pflege und Erziehung. In diesem Bereich arbeiten mehrheitlich Frauen, jedoch unter der Führungsposition eines Mannes. Die Bezahlung ist in diesem Sektor geringer, als in den meisten anderen, vor allem männlich geprägten, Sektoren wie Industrie. Die Bezahlung von Frauen ist selbst bei mehrheitlich von Frauen ausgeübten Tätigkeiten also geringer als die von Männern. Dies verdeutlicht ganz offensichtlich die patriarchal- bzw. asymetrisch- vergeschlechtlichte Gesellschaft. 
https://de.statista.com/infografik/21138/entwicklung-des-gender-pay-gap-in-deutschland/ 
In Zahlen spiegelt sich dies in der sogenannten Gender Pay Gap wider. Diese beschreibt das geschlechterspeziefische Lohngefälle des Bruttolohns zwischen Männern und Frauen. Hierbei muss zwischen der bereinigten und unbereinigten Pay Gap unterschieden werden. Beim  unbereinigten GPG wird die Differenz zwischen den durchschnittlichen Bruttoverdiensten von Frauen und Männern gebildet. Dabei fließen in die Berechnung auch Faktoren ein, die auch die Verdienste von Arbeitnehmern in (Alters-)Teilzeit, von geringfügig Beschäftigten sowie Auszubildenden und Praktikanten mit ein. Auf lohndeterminierende Faktoren wird also keine Rücksicht genommen. Dieser GPG liegt in Deutschland bei rund 21%. Der bereinigte GPG stellt das Bruttoeinkommen von  Frauen und Männer in ein Verhältnis, welche vergleichbare Berufe ausüben bzw. vergleichbare Eigenschaften teilen. Der bereinigte GPG beträgt ca. 2–7 %. Dies bedeutet, dass im Durchschnitt Frauen unter der Voraussetzung vergleichbarer Tätigkeit und gleicher Qualifikation pro Stunde 2–7 % weniger als Männer verdienten. 
Woher kommt dieser unbegründete Unterschied, der von uns als so selbstverständlich angenommen wird?
https://www.slideserve.com/arnaud/dr-jana-r-ckert-john  
Ein Teil rührt von der Sozialisierung her. Im Prozess der Sozialisation lernen  wir die Codes, mit denen wir unser Geschlecht richtig darstellen und das Geschlecht anderer erkennen können – hier sprechen wir von doing gender. Für diese interaktive Hervorbringung von Geschlecht steht eine breite Palette kulturell bedeutsamer Hinweise zur Verfügung: Namen, Kleidung, Stimmlage, Gestik, Mimik, Körperhaltung und Verhaltensweise, deren Bedeutung und Anwendung wir in Prozessen der Sozialisation einüben. Der Code, der diesen Bedeutungen zugrunde liegt, lässt sich als zumeist unhinterfragbare kulturelle Grundgewissheit verstehen, dass es zwei und nur zwei Geschlechter gibt und dass jeder Mensch einer dieser beiden Kategorien sein Leben lang angehört.
 Dabei finden auch Klischees zu ihrer vollen Blüte: "Frauen und Technik", "Jungen können Mathe besser", "Jungen weinen nicht" und und und. Auf die Arbeitswelt übertragen implementiert sich daraus auch ganz banal folgende Verteilung: der Mann arbeitet, die Frau bleibt zuhause für den Haushalt und die Erziehung. Selbst im 21. Jahrhundert, in dem dieses Rollenbild als veraltet gilt, zeigen Mängel im System, wie schwierig bis unmöglich es einer Frau ist, losgelöst von dem manifestierten Bild in der Arbeitswelt gleichwertig behandelt zu werden. Entschließt sich eine Frau dazu eine Familie zu gründen, so ist das einer Sisyphusarbeit gleichzusetzen: Wie lange gehe ich in Elternzeit? Gehe ich nur kurz, bin ich eine Rabenmutter und bleibe ich lange, habe ich den Karriereaufstieg verpasst. Und was passiert mit dem anderen Elternteil? Wird dieses nun völlig aus dem Familienleben ausgeschlossen, weil es auf die Arbeit angewiesen ist? Ist das ein gerechtes System? Und wieso ist es immer noch ein solches Tabu über Geld und Einkommen zu sprechen? Dieses Verschweigen kommt letztlich nur dem Arbeitgeber zugute und löst Ungleichheiten nicht, sondern untermauert sie sogar. Es ist daher essenziell als Arbeitnehmer über seinen eigenen Wert zu wissen und sich auszutauschen mit Kolleg*innen. Nur dadurch kann auf Fehler aufmerksam gemacht werden und ein Umbruch stattfinden. 

 Die Jagd nach Mehrwert ist der zentrale Antrieb einer privatkapitalistischen Wirtschaft. Erlahmt sie, aus welchen Gründen auch immer, verliert das System an Stabilität. Der Kapitalismus wächst oder er ist in der Krise. Dazwischen gibt es nichts. Wachstum im neoliberalen Kapitalismus wird repulsiv und bedeutet keineswegs mehr Wohlstand für alle. Es befördert gesellschaftliche Spaltung, indem es die Vermögen der Reichen mehrt und zugleich immer mehr Menschen in prekäre Lebenslagen abdrängt. Und es nimmt die Natur in einem Maße in Anspruch, das ihre Regenerationsfähigkeit überfordert. Man bedenke die Klimakrise. 

Letztlich möchte ich noch auf unsere aktuelle Lage eingehen, da die Corona Krise ein Bilderbuchbeispiel für dieses ungleiche System ist. Die aktuelle Corona Krise, die ja alle treffe, trifft manche eben doch härter als andere. Was passiert mit alleinerziehenden Elternteilen, die alleine zuständig für die finanzielle Absicherung sind? Und wieso wird erst jetzt den systemrelevanten Berufen Aufmerksamkeit und Solidarität gezollt, da ihre Dringlichkeit in einem heruntergefahrenen Staat so unübersehbar ist? Jene Berufe die hauptsächlich von Frauen getragen werden; jene Berufe, die unverhältnismäßig weniger bezahlt bekommen. Diese Personen arbeiten jetzt über jegliche Maßen hinaus unter unglaublichen Bedingungen. Vielleicht rüttelt die Krise uns auch diesbezüglich auf. Geschlechter haben keine Wichtigkeit während der Ausübung einer Arbeit. Wichtigkeit hat die Qualifikation und Qualität der Arbeit. Der profitorientierte Kapitalismus zeigt Lücken im Sozialstaat auf, die gerade jetzt nicht mehr zu übersehen sind. Wichtig sind daher Reformen und Veränderungen hingegen eines Infrastruktursozialismus. Es müssen Maßnahmen in Kraft treten, die das Gesundheitswesen aus dem Markt zieht und Großunternehmen dazu verpflichtet, ihre wirtschaftliche Tätigkeit stärker auf das Allgemeinwohl anzupassen. 

Ich bedanke mich für die Zeit, die Du dir zum Lesen genommen hast. 



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