Dienstag, 16. Juni 2020

Was ist los mit der Demokratie?

“Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.” (Winston Churchill)
Stimmt das?

Philipp Amthor sorgt für heftige Diskussionen. Amthor engagiert sich in einem New Yorker Unternehmen und schlägt selbst Profite daraus. Ein Vorfall, der die Parteiverdrossenheit innerhalb Deutschlands unterstützt. Fälle von Ämterpatronage, Finanzskandalen und Oligarchie in der innerparteilichen Demokratie sorgen für die Annahme der Bürger, dass Parteien und ihre Führungseliten ohne Skrupel zur persönlichen Vorteilnahme und zugunsten der eigenen Klientel handelten. Intransparente Absprachen über zu besetzende Ämter in Politik, Wirtschaft und den öffentlichen Dienst und selbst beschlossene Steigerungen der finanziellen und materiellen Zuwendungen an Politiker lassen den Staat für die Bürger wie eine unerschöpfliche Einnahmequelle für Parteien und Politiker erscheinen und nicht etwa als Bindeglied zwischen Staat und Volk.
Der Verdruss auf einzelne Politiker (z.B. Amthor) leitet sich dann auf die gesamte Partei ab.
Die Parteiensysteme wirken wie eingefroren, inzwischen haben autoritäre Populisten überall auf der Welt Zulauf. Die AfD ist in allen 16 Landtagen und mittlerweile sogar im Bundestag vertreten. Wie geht man mit der Herausforderung des Populismus um? Die öffentliche Meinung wird zunehmend polarisiert, wodurch der Graubereich eines politischen Kompromiss weiter schwindet. Dadurch entstehen immer gefestigtere, unflexible Positionen, welche sich gegenseitig ausschließen und einen Dialog weitesgehend verhindern.
Das populistische Versprechen, es könne einen Ausweg geben aus der Komplexität und Diversität der Gegenwart, findet gleichwohl zunehmend Anhänger. Diese Anhänger lassen sich nicht wie zu vermuten nahe liegt angehäuft im rechten politischen Spektrum finden, sondern besonders innerhalb der bürgerlichen Mitte. Es entwickeln sich also zunehmend Spaltungstendenzen in der Gesellschaft, die zeitgleich den Erhalt der Demokratie gefährden.
Woher kommt diese Spaltung? Deutschland erlebt innerhalb der letzten Jahre einen Wohlstandsgewinn, sinkende Arbeitslosenquoten sowie ein starkes Wirtschaftswachstum. Das hört sich doch gut an, oder nicht? Was diese Beobachten nicht zeigen ist, dass ein Teil der Bevölkerung davon ausgeschlossen bleibt. Die unteren Einkommen sind kaum gestiegen, der Niedriglohnsektor ist weiter expandiert und in den wirtschaftlich wachsenden Metropolen wird der Wohnraum knapp. Dadurch ist für einkommensschwächere Bevölkerungsteile der freie Wohnungsmarkt weitgehend unbezahlbar geworden. Zu den Schattenseiten zählt auch die regionale Disparität im Land: Während einige Regionen boomen, fallen andere weiter zurück.
Durch den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik und die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden wird das Nachvollziehen politischer Entscheidungen und der jeweiligen Handlungsebene erschwert. Die Reaktion der gänzlichen Abweisung und des Vertrauensverlusts wirkt dadurch verständlicher.
Zudem erschwert die zunehmende Individualisierung die dauerhafte Bindung zwischen Wähler und Partei. Damit verbunden ist auch ein häufigerer Wechsel der Beweggründe, die eine oder andere Partei zu wählen. Die Hinwendung der Parteien zu neu entstandenen Wählergruppen führt zu einer Verdrossenheit der traditionellen Wählerschaft aufgrund von angepassten oder sich verändernden parteilichen Zielen und Werten, während sich die neuen postmaterialistischen Wählerschichten (meist Jugendliche) nicht genug von den Parteien beachtet fühlen. So versuchen die Parteien eine Mittelposition zwischen den beiden Gruppen einzunehmen, die allerdings Verdrossenheit bei Teilen der Stammwähler hervorbringt und die Unzufriedenheit auf Seiten neuer Wählergruppen nicht vollständig auflösen kann. Die Parteien werden für Außenstehende austauschbar: Klar zuordbare Positionierungen werden seltener. Eine klare Position auf dem rechts-links Spektrum vieler Parteien wird schwieriger, welches die innerparteiliche Aufspaltung in Flügel bzw. Zersplitterung zusätzlich unterstützt. Eine Alternative bilden NGO´s und Verbände, die vermehrt Zuspruch gewinnen. So engagieren sich vor allem Heranwachsende in eben diesen, da sie hier ihrem spezifischen Interesse bezüglich eines Themas eher und gezielter nachgehen können (vgl. Fridays For Future).

Es gilt also Sachfragen zu lösen beziehungsweise in Angriff zu nehmen, die populistische und nicht populistische Positionen vertreten. Das sind laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung meist sozialpolitische und überraschenderweise pro-europäische Themen. Die Politik muss sich mit Konfliktbereichen intensiv beschäftigen, die die Gesellschaft spaltet: die Klimakrise, Integration, Flüchtlingspolitik und der Umgang mit gesellschaftlicher Vielfalt. Eine öffentliche Debatte sollte dabei gefördert werden, bürgerliche Teilhabe gefordert sein, um das Vertrauen und Interesse in die Politik zurück zu gewinnen. Die Politik muss eine klare Sprache sprechen, die soziale Gerechtigkeit fördern und die kommunale Ebene muss mit mehr Ressourcen und Regelungsfreiheit ausgestattet werden. Letzteres lässt sich dadurch begründen, dass die Kommunen die Orte der Selbstwirksamkeit definieren, in denen das Vertrauen in lokale politische Institutionen grundsätzlich höher ist. Die Demokratie ist ein Staatssystem, welches auf dem Vertrauen und der aktiven Mitgestaltung der Bürger*innen basiert und lebt. Skandale von einzelnen Personen dürfen keine Grundlage für Pauschalurteile bilden und populistische Positionen mit "einfachen" Erklärungen nicht ohne Reflexion und Hinterfragung angenommen werden.
Ich, als eine Bürgerin die mit der Demokratie großgeworden ist, appelliere an politisches Engagement, Diskussion und Reflexion. Nur durch den allgemeinen Austausch und Flexibilität erreichen wir eine grundlegende Zufriedenheit und einen gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Danke fürs Lesen  :)

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