Dienstag, 9. Juni 2020

Weiß sein

Ich bin weiß. Jenes Merkmal verschafft mir eine Sonderrolle in dieser von ethnischen Merkmalen dominierten Gesellschaft. White supremacy. Woher kommt dieses Denken?
Ein kurzes Szenario aus dem Alltag: an einer Werbetafel ein Bild eines farbigen kleinen Mädchens und der Aufforderung Pate zu werden. Eine Meldung auf „Spiegel Online“ über den Potsdamer Ermyas Mulugeta, der von zwei Unbekannten lebensgefährlich verprügelt wurde, heißt es, das „äthiopischstämmige“ Opfer sei „mit zwei Deutschen in Händel geraten“. Diese Situationen verbindet die gleiche, abstrakt scheinende Denkfigur: Die Figur des Weißen. Weißsein als unsichtbarer Maßstab stellt das Nicht-Weiße als Abweichung und minderwertige Abstufung dar. Dies passiert oft unbewusst, ja sogar in einem antirassistischen Kontext. Pate werden, helfen, die Welt verbessern, teilen, Nächstenliebe. Das ist lobenswert und auch wünschenswert aber davon losgelöst ist nicht das Handeln des Weißen als der Protagonist der "rettet", "verbessert" und "schützt". Er tut dies fast mit Leichtigkeit, da ihm die nötigen Mittel im Überfluss zur Verfügung zu stehen scheinen.  Denn es scheint, als genüge das existenzielle Minimum, eine Grundbildung bereits um massiv zu helfen und zu verändern, da die Zustände in der Umgebung des Patenkinds so miserabel sind. Dieses Handeln bezeichnet man als "White Saviorism".
 Dass gut gemeintes Handeln nicht immer gut ist, zeigt der Fall der im Januar 2020 in Uganda vor Gericht geht.  Die Amerikanerin Renee Bach reiste erstmals 2007 im Alter von 18 Jahren nach Uganda.  Sie beschloss in der Stadt Jinja die religiöse NGO „Serving His Children“ zu gründen. Die Organisation hat sich unter anderem die Bekämpfung von Mangelernährung zum Ziel gesetzt. Zwei Mütter klagten gegen Bach, da sie ohne Ausbildung als Ärztin praktiziert habe und verantwortlich für den Tod der beiden Kinder der Mütter gemacht wird.  In „armen Schwarzen Gemeinden“ ein gutes Werk zu vollbringen und dabei keine wirklich hilfreichen Qualifikationen zu besitzen, wie beispielsweise eine medizinische Ausbildung oder sich  mit der Kultur des Landes auszukennen definiert das typische Handeln eines "Weißen Retters". Außerdem präsentiert sich jener oftmals in den sozialen Netzwerken auf Fotos mit „armen Schwarzen Kindern“ als Held. Tatsächlich bewegen tut das nichts. Die Wurzeln von der Ungleichheit wie zum Beispiel Korrupte Staatssysteme, Lobbyeinfluss anderer Länder, fehlende Industrialisierung und auch das rassistische Klassendenken werden nicht berührt, ja sogar weiter etabliert.

Durch die brutale Ermordung George Floyds erlangen Bewegungen wie BLM (Black Lives Matter) große Aufmerksamkeit und Zuspruch. Dieses Momentum jetzt zu nutzen ist wichtig um grundlegende internationale Veränderungen gen der Gleichberechtigung aller zu schaffen. Diese darf nicht nur vom  Gesetz bestimmt sein sondern muss vor allem durch eine Veränderung sozialer Strukturen herbeigeführt werden. Ich persönlich finde mich in dieser Situation in einem Dilemma wieder. Wie kann ich solidarisch sein, Empathie zeigen und etwas mitbewirken, wobei ich ja weiß bin? Ein einzelnes schwarzes Bild mit dem Hashtag #blackouttuesday bringt demnach meiner Meinung nach nichts, hat sogar einen Hype ähnlichen Charakter an sich. Damit ist noch lange nichts verändert und es scheint, als würde dadurch ein Häkchen an die To Do Liste gesetzt werden sich "beteiligt" zu haben. Können die Sozialen Netzwerke in solchen Zeiten überhaupt helfen?
Ich persönlich habe eine sehr ambivalente Meinung darüber. Das Video von George Floyd verbildlicht Polizeigewalt gegenüber Afroamerikanern auf einer brutalen, direkten Art. Gleichzeitig können Betroffene durch das ständige Wiederansehen des Videos getriggert werden und der Afroamerikaner an sich steht wieder nur als ein "Objekt" weißer Gewalt und nicht als vollwertiges, wertvolles Menschenleben dar. Das Verwenden von Hashtags ist nur dann hilfreich, wenn es gut organisiert und geplant ist. So führten Misskommunikationen am "Blackouttuesday" dazu, dass unter dem Hashtag "Blacklivesmatter" gepostet wurde, welches lediglich zum Verbreiten von Nachrichten bezüglich der Polizeigewalt oder Protesten genutzt werden sollte. Der Nachrichtenfluss wurde daher erheblich behindert. Effektiver wäre es, unter Hashtags zu posten, welche die Gegenseite verwendet, um beispielsweise deren Nachrichtenfluss stillzulegen.
Abgesehen von den Sozialen Netzwerken ist es natürlich auch viel wichtiger tatsächlich antirassistisch zu leben. Das bedeutet also, nicht einfach nur gegen Rassismus zu sein, sondern aktiv dagegen zu Handeln. Die große Aufmerksamkeit ist gut, darf aber kein Trend sein, denn Trends sind temporär und Rassistische Problematik kann nicht temporär sondern muss längerfristig gelöst werden. Die Wurzeln von Rassismus liegen tief verankert in unseren Systemen und erfordern daher grundlegende Änderungen. In Amerika spielt dabei z.B. eine tragende Rolle das Gefängnissystem.Ein disproportionaler Anteil der Gefangenen besteht aus Afro-Amerikanern, vor allem wenn es um kleine Delikte und Wiederholungstäter geht. (Filmempfehlung: The 13th). 
Abschließen möchte ich diesen Eintrag mit einem Zitat von Martin Luther King Jr.:
“The time is always right to do what is right.”















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