Sonntag, 25. Oktober 2020

Kann das Individuum die Nachhaltigkeitskrise stemmen?

Wieder das Thema Nachhaltigkeit. Wieder geht es darum, die bestmögliche, im Kollektiv realisierbare Balance im Leben zwischen unserem Planeten und dem Menschen selbst zu finden. Und wieder lautet die Antwort: Ernährung. 

Ich möchte im Folgenden insbesondere auf den Klimawandel und die Nutztierhaltung eingehen. Der Bericht ist sehr zahlenlastig, jedoch bin ich der Überzeugung, dass nur handfeste Fakten und Zahlen die Dimensionen und die Reitweiche der Viehzucht aufzeigen können. 

Zunächst einmal die Frage: Kann das Individuum die Welt retten? Sollte es überhaupt am Individuum festzumachen sein, eine so immense Verantwortung zu übernehmen? 

Das Individuum kann tatsächlich die Welt retten, ja es muss es sogar. Das erfordert kein Elektroauto, kaltes kurzes Duschen und den Umstieg auf Solarstrom (obwohl das natürlich auch hilfreich und erstrebenswert bleibt!!), sondern eine simple Ernährungsumstellung auf eine rein pflanzliche Ernährung. 

Wieso? Weil die Viehzucht, also die Aufzucht und der Verzehr von Vieh, der größte globale Klimaschädling ist. Die Treibhausgase, die von der Viehzucht erzeugt werden sind  größer als die des gesamten Transportsektors zusammengenommen. 

Die Tierlandwirtschaft insgesamt ist für 65% des weltweiten Stickoxidausstoßes verantwortlich. Stickoxid, oder umgangssprachlich auch Lachgas genannt, hat ein 296 größeres Erderwärmungspotential als Kohlenstoffdioxid. Auf diesem liegt gerade das Augenmerk der Nachhaltigkeitsdebatte beziehungsweise auf der globalen Verminderung der Kohlenstoffdioxidemissionen. Unverständlich wird das, wenn man den Methanausstoß betrachtet. Methan wird vor allem von Kühen ausgestoßen, wobei das Gas 86 mal zerstörender wirkt als das CO2, das zum Beispiel durch Fahrzeuge in die Atmosphäre gelangt. Ferner würde sich eine Methanreduzierung innerhalb von bereits zehn Jahren deutlich bemerkbar machen, eine CO2-Reduktion erst nach 100 Jahren. Die Reduzierung des Ersteren erfordert dabei keine milliardenschweren Projekte, sondern einen Verzicht auf die Kuh als Nutztier. Jene hat außerdem einen nennenswerten Wasserverbrauch. Der findet seinen Ursprung im unglaublich wasserintensiven Futteranbau. So ist der Verzehr eines einzigen Hamburgers so, als würde man zwei Monate durchgehend duschen. Tag und Nacht. 

So ist die Nutztierhaltung zu 51% verantwortlich für den anthropogenen Klimawandel und der Hauptgrund für das Artensterben. Das Artensterben ist zurückzuführen auf  die Überweidung und den daraus resultierenden Lebensraumverlust durch Überzucht. Auch durch die Überfischung entstehen immer mehr sogenannte Todeszonen. Das sind Gebiete, in denen das Wasser so wenig Sauerstoff enthält, dass Organismen, die auf Sauerstoff angewiesen sind, keine Überlebenschance haben. 

Der Lebensraumverlust und die Zerstörung von Ökosystemen wird besonders deutlich am Beispiel des Regenwaldes. Der Regenwald fungiert als natürlicher Ausgleich zum CO2-Gehalt innerhalb der Atmosphäre. Er ist der biologisch und kulturell vielfältigste Ort, jedoch sind bereits rund 91% des Amazonasregenwaldes zerstört für die Nutztierhaltung. 

Unglaublich ist es umso mehr, dass die renommiertesten Umweltschutzverbände, wie Greenpeace, zum Thema der Nutztierhaltung  schweigen und damit durch pure Ignoranz versagen. Es fehlen auf den Websiten der meisten dieser Verbände jegliche Verweise zu dem Problem geschweige denn Unterstützung für Projekte, die das vegane Leben, die Artenvielfalt der Wildtiere oder auch Säuberung der Weltmeere, verhindert durch die Viehzucht, unterstützen. Die Agrar- und Lebensmittellobby leistet dabei zudem enorme Arbeit, den Konsumenten im Unklaren über sein Verhalten zu lassen. Das wird durch diverse Werbekampagnen seit Jahrzehnten erreicht, wie das Werben für Kuhmilch als zentrale Kalziumquelle und daher Grundelement für unter anderem gesunde Knochen. Verschwiegen wird dabei, dass die Kuhmilch für das Kalb bestimmt ist, nicht für den Menschen. Jegliche Hormone, Mineralien und Nährwerte in der Kuhmilch sind daher- so banal das scheinen mag- eben nicht förderlich, sondern sogar kontraproduktiv für das gesunde Leben eines Menschen. Entfernt man sich vom rein gesundheitlichen Aspekt, kann auch der ethische Aspekt herangezogen werden. Eine Milchkuh befindet sich als Kalb nur zwei Tage bei seiner Mutter und wird dann zu einer Aufzuchtstation gebracht, in der ihm künstliche Kuhmilch gefüttert wird, da die ursprüngliche Milch für den Kommerz verwendet wird. Dazu kommt, dass die weltweite Nachfrage nach Milchprodukten steigt, wobei die Milchwirtschaft auf globalem Level unmöglich nachhaltig gestaltet werden kann. Die Nachfrage ist zu groß, wenn man betrachtet, dass man bereits für einen Liter Milch 1000 Liter Wasser braucht. 

Rund 7.8 Milliarden Menschen leben auf der Erde. Es wird von einer Überbevölkerung gesprochen. Neben den Menschen gibt es allerdings auch 70 Milliarden  Nutztiere, die alle enorme Massen an Futter und Wasser benötigen. Dabei werden die Kosten der Tierfutterproduktion nicht komplett von den Herstellern selbst getragen. Diese "versteckten" Kosten werden daher auf die Gesellschaft abgewälzt. Das spiegelt sich dann zum Beispiel in Gesundheitskosten, Umweltschäden oder Subventionen wider. In den USA allein werden jährlich 414 Milliarden Dollar von Steuerträger*innen für diese Kosten verwendet. Im Anbetracht dessen wird klar, dass wenn die Hersteller selbst alles bezahlen müssten, würden die Preise für tierische Produkte gleichsam merkbar steigen- und das will der Staat verhindern. Bedenkt man nun jedoch, dass 82% der weltweit hungernden Kinder in Ländern leben, in denen Nahrungsmittel in Viehzucht verfüttert werden, welche dann in wohlhabenderen Ländern zum Endkonsumenten gelangt (USA, Großbritannien, EU), muss überdacht werden, ob der Konsum von tierischen Produkten weltweiten Hunger neben den immensen Klimaschäden rechtfertigen kann.  Es könnte nämlich eine angemessene Ernährung für alle Menschen gewährleistet werden, wenn die Nahrung, die primär für Nutztiere bestimmt war, in menschliche Nahrung umgewandelt werden würde. Wenn weniger tierische Produkte konsumiert werden, können alle Felder mit gentechnologisch angebautem Mais oder Sojabohnen in Wälder und damit wiederauflebende Ökosysteme umgewandelt werden. 

Wenn jeder vegan wäre, gäbe es wieder mehr Wälder anstatt von Nutzflächen, eine Rückkehr der Wildtiere in ihre natürlichen Habitate, saubere Flüsse und Weltmeere, sowie eine bessere Gesundheit der Menschen. Vielleicht würden sogar Werte wie Güte und Rechtschaffenheit zurückkehren. Dabei kostet diese Umstellung nichts, wie im Vergleich zum kompletten Umstieg auf nachhaltige Energien. Diese Umstellung geschieht zudem sofort und benötigt keine Zeit, die in dem Maße schlichtweg nicht zur Verfügung steht. 

Das Individuum hat also die Nachhaltigkeitskrise zu einem großen Teil selbst in der Hand. Außer Frage bleibt, dass zusätzlich Unterstützung und vor allem Aufklärung von Seiten der Regierung gewährleistet sein müssen. Unser Ziel sollte es doch nämlich sein, die Erde nicht künstlich überleben zu lassen, sondern ihr etwas zurückzugeben, sodass sie lebt. 

  


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